Obwohl mit einer Ärztin verheiratet, bin ich kein Freund von Arztbesuchen. Ich suche auch dann nur die Autowerkstatt auf, wenn mein Fahrzeug ein Problem hat oder die Durchsicht fällig ist. So ist auch zu erklären, dass ich mich in der Vergangenheit nicht mit der Bildung von Strompreisen beschäftigt habe. Der exorbitante Anstieg der Strompreise in den zurückliegenden Wochen und Monaten hat mich jedoch veranlasst, hier gründlicher zu recherchieren. Und ich erlebte eine Überraschung, die noch heute in mir nachhallt, weil ich diesen Mechanismus für völlig dysfunktional halte.
Der Strompreis wird nach dem Merit-Order-Verfahren festgelegt. Dieser aus dem Englischen stammende Begriff steht für die Reihenfolge der Vorteilhaftigkeit – hier die Einsatzreihenfolge von Kraftwerken, die ihrerseits durch die Grenzkosten der Stromerzeugung bestimmt wird. Zunächst werden die Kraftwerke mit dem niedrigsten Preis bzw. den niedrigsten Grenzkosten zugeschaltet, beginnend bei den erneuerbaren Energien über Atomkraftwerke und Kohlekraftwerke. Wird dann noch Strom benötigt, was an den meisten Tagen der Fall ist, werden die Gasturbinenkraftwerke zugeschaltet, die einen vergleichsweise deutlich höheren Strompreis anbieten (müssen). Dieser Preis, den dasjenige Kraftwerk erhält, das zuletzt zugeschaltet ist und die höchsten Grenzkosten hat, bestimmt den Strompreis für alle anderen Lieferanten. Das bedeutet, dass beispielsweise auch die Anbieter von Strom aus erneuerbaren Energien genau jenen Strompreis erhalten, den das teuerste (Grenz-)Kraftwerk, also das mit einer Gasturbine arbeitende, erhält. Nun entsteht zweifelsohne die Frage, wer von den anderen Stromerzeugern ein Interesse daran haben sollte, dass der Gaspreis sinkt? Interessanter Nebeneffekt für den Finanzminister ist, dass selbstverständlich auch auf alle Strompreise Mehrwertsteuer und andere Steuerbestandteile zu entrichten sind. Und dass die jährlich steigende CO2-Steuer hier ebenfalls zusätzlichen Steigerungseffekt hat, liegt auf der Hand.
Ich halte diese Art der Koppelung des Strompreises an den Gaspreis für eine kolossale Fehlleistung der Regulierungsbehörde, da man eigentlich mit der Liberalisierung des Strommarktes ein anderes Ziel verfolgt hat. Es ist fraglich, ob und wer den Mut aufbringt, diese Fehlkonstruktion nicht nur zu diskutieren, sondern auch Weichen zu stellen, die diesen Mechanismus sehr schnell und nachhaltig abschaffen und wieder vom Kopf auf die Füße stellen.